„Wie alt man geworden ist, sieht man an den Gesichtern derer, die man jung gekannt hat“ , stellte der Schriftsteller Heinrich Böll einst fest. Vermutlich ist das einer der Gründe dafür, dass es heutzutage nicht überall zum guten Ton gehört, wenn man sein wahres Alter ganz nonchalant vor sich her trägt – in gewissen Kreisen gleicht dies einem Affront.
Vermutlich ist der Knackpunkt dabei auch, dass nicht jeder die genetische Fähigkeit besitzt so ästhetisch zu altern wie ein Sean Connery oder eine Claudia Schiffer. Mit Mitte Zwanzig fühlt sich mancher deshalb dazu aufgefordert mindestens Botox injizieren zu lassen, um ja kein Fältchen zu bekommen – ist aber auch höchste Zeit, denn vor ein paar Hundert Jahren galt man mit 30 immerhin bereits als Greis. Besonders als Frau ist diese Prozedur natürlich unumgänglich, denn welcher Mann fängt schon ein Techtelmechtel mit einer Runzligen an – also sei mir nicht bös‘! Aber auch dem Mann mit Erfolgsambitionen steht der Alterungsprozess im Weg. Er merkt dies vor allem am Verlust des Haupthaares. Wo eine Mütze nicht mehr hilft, muss eine Haartransplantation her – kostspielig und schmerzhaft zugleich. Der Körper stirbt ab dem 25. Lebensjahr – das ist biologisch einfach so – aber niemand soll es sehen, auch am Arbeitsplatz nicht. So ist es in China alltäglich, dass Arbeitnehmer sich für den Traumjob zunächst einer Schönheits-OP unterziehen, denn Jugend gekoppelt an gutes Aussehen wird offenbar überall auf der Welt als Türöffner angesehen.
Ich persönlich fühle mich vom Anblick einer alternden Person eher weniger belästigt, denn ich finde es weder unästhetisch noch macht es mir etwas aus, durch ein älteres Gegenüber an meine eigene Sterblichkeit erinnert zu werden. Das erspart mir Frust, Geld und auch viel Zeit. Meine Falten hat mir mein Umfeld eingebrockt, nun soll es sie auch ansehen :-). Aber ich gebe zu, es ist nicht gerade leicht sich diesem Jungbrunnen-Diktat gänzlich zu entziehen, vor allem wenn man erst einmal die 30 überschritten hat. Zu sehr ist man bereits gehirngewaschen von den Werten, die Werbung und Hollywood vermitteln. Dabei kann ein Gesicht so viel erzählen, wenn es schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Schau Dir beispielsweise den alten Mann auf meinem Bild an. Er kommt aus Griechenland, mehr weiß ich von ihm nicht. Was denkt er wohl gerade, was arbeitet er, was tut er in seiner Freizeit? Hat er Familie, ist er alleinstehend? Sein Gesicht erzählt jedem Betrachter vermutlich eine andere Geschichte…
der alte mann ohne meer by ninscha törtl/ninschart/acryl auf papier/40cmx55cm